Bereits 117 Jahre hat die Straßenbahnlinie 6 in Innsbruck (T) auf dem Buckel. Sie bringt Fahrgäste hinauf auf das Sonnenplateau in den Stadtteil Igls. Weil sie nicht rentabel ist, wurde der Fahrplan deutlich reduziert. Das treibt die Igler auf die Barrikaden.
Von Christina Schwienbacher
Ein Thema wird in der Tiroler Landeshauptstadt Inns- bruck derzeit äußerst hitzig diskutiert. Die Zukunft der seit 1900 bestehenden Straßenbahnlinie 6, die von ihrem Ziel- und Endbahnhof beim Stift Wilten im Süden der Stadt in etwa 20 Minuten zum Igler Bahnhof fährt, fünf Gehminuten vom Dorfzentrum entfernt.
Jetzt droht das Aus, der Fahrbetrieb ist seit Montag, 11. September, bereits deutlich eingeschränkt. Die Linie sei nicht rentabel, heißt es bei den Innsbrucker Verkehrsbetrieben (IVB), täglich würden nicht einmal 20 Fahrgäste die Straßenbahn nützen. „Die Bahn ist für die tägliche Mobilität nicht geeignet, weil sie vor allem durch schöne Landschaft fährt, und deshalb primär für Erholungssuchende interessant ist. Da es auch keine dichtere Wohnbebauung im Einzugsbereich der Linie 6 in den vergangenen Jahren gegeben hat, mussten wir darauf reagieren“, argumentiert IVB-Geschäftsführer Martin Baltes. Fast eine halbe Million Euro sollen durch den abgespeckten Fahrplan eingespart werden.
Die Igler Bevölkerung versteht das nicht. Die „Igler“, wie die Linie 6 liebevoll von den 2.700 Einwohnern genannt wird, habe starke Konkurrenz von der Buslinie J, die ihre Fahrgäste im Zehn-Minuten-Takt in etwa 17 Minuten von Igls ins Innsbrucker Stadtzentrum bringe, sagen sie. Mit der 6er dagegen müssen die Fahrgäste beim Stift Wilten auf andere Öffis umsteigen, was großen Zeitverlust bedeutet. „Dabei könnte die 6er so wie früher auf den vorhandenen Gleisen bis ins Stadtzentrum fahren“, meint Marc Crepaz vom Stadtteilausschuss Igls. „Dann würden viel mehr Fahrgäste die Linie benützen.“ Zudem gebe es seiner Meinung nach in Igls einen extremen Zuzug. Warum der Verkehr nicht durch die „ökologisch verträglichere Variante mit der Bahn statt dem Bus“ entlastet wird, versteht Crepaz nicht. „Und im Hinblick auf autonom fahrende Verkehrsmittel ist das auch kurzsichtig gedacht.“
Franceska Kozubowski ist eine resolute Iglerin sowie glühende 6er-Verehrerin und hält die Diskussion um die Einstellung der Bahn für einen Skandal. „Ich bin schon als Schulmädchen damit ins Gymnasium der Ursulinen gefahren und habe darin meine Vokabeln gelernt. In der Schweiz zum Beispiel schützen und bewahren sie solche historischen Juwele. Leider wurde mit dem 6er Schindluder getrieben und die Streckenführung reduziert. Weil sie nicht mehr wie früher ins Stadtzentrum oder zum Hauptbahnhof fährt.“
Doch im Gegensatz zu den IVB-Bussen können Rollstuhlfahrer oder Personen mit Kinderwagen ebenerdig in die mit 58 Sitzplätzen und 149 Stehplätzen ausgestattete Bahn einsteigen. „Und was ist, wenn die Igler Straße durch Muren oder Steinschlag verlegt wurde und kein Bus fahren kann? Auch das hat es schon gegeben“, meint Kozubowski aufgebracht.
Die Igler Ulrike und Philipp Arakelian erzählen, dass eines ihrer Kinder jeden Tag in der Früh mit der Bahn in die Schule fährt und nachmittags zu den Wiltener Sängerknaben. „Diese Bahn ist einmalig. Eine Attraktion. Dass weniger als 20 Personen den 6er nutzen, stimmt doch nicht. Fahrgäste mit Monats- und Jahreskarten sind da zum Beispiel gar nicht mitgerechnet“, erklärt Ulrike Arakelian. Sie fürchtet wie viele andere Bewohner auch, dass der abgespeckte Fahrplan zum schleichenden Tod ihrer Linie führen wird. „Wenn die Öffis keinen regelmäßigen Takt mehr haben, werden sie noch we- niger genutzt“, ist Marc Crepaz überzeugt.
Die Reduzierung des Fahrplanes wurde im Innsbrucker Stadtsenat abgesegnet. Gleichzeitig soll ab Oktober eine Arbeitsgruppe eingesetzt werden, um nach Möglichkeiten zu suchen, die Linie 6 attraktiver zu machen. Die Leitung wird IVB-Chef Martin Baltes übernehmen. Das stößt dem FPÖ-Stadtparteiobmann Rudi Federspiel sauer auf. „Das ist der Jahrhundertwitz. Da wird der Bock zum Gärtner gemacht.“ Aus der SPÖ ist zu hören: „Ob und wohin die Linie erweitert wird, entscheidet nicht die IVB-Geschäftsführung, sondern die politische Führung der Stadt.“